19. Juni 2025
Warum interkulturelle Kompetenz für den M&A-Erfolg entscheidend ist
Kulturelle Unterschiede sind oft der blinde Fleck in internationalen M&A-Prozessen. Wer den menschlichen Faktor unterschätzt, riskiert viel – und gewinnt wenig.
Von Petra Fischer, M&A Partner bei Translink Corporate Finance, im Gespräch mit Culture Expert Christina Röttgers
Viele Fusionen und Übernahmen scheitern nicht an der Strategie oder den finanziellen Risiken, sondern daran, dass den Beteiligten das Wissen und die Sensibilität im Umgang mit kulturellen Unterschieden fehlt. Der kulturelle Faktor ist kein weicher Faktor, sondern ein strategischer Erfolgsfaktor. Unterschiede in Führung, Kommunikation, Zielsetzung und Entscheidungsfindung wirken sich unmittelbar auf das Tagesgeschäft aus.
Internationale Transaktionen bringen unterschiedliche nationale, regionale und unternehmensspezifische Kulturen zusammen. Was in den ersten Gesprächen zwischen Einzelnen gut harmoniert, kann später in der Post-Merger-Phase zu massiven Reibungen innerhalb der Gruppen führen. Unterschiedliche Auffassungen von Delegation, Kontrolle und Konfliktbewältigung wirken sich besonders auf die Zusammenarbeit aus.
Was viele Menschen nicht wissen, ist, dass die Kosten für den Bau einer kulturellen Brücke bereits vor dem Erreichen des M oder A geschätzt und eingepreist werden können.
Da die nationale Kultur einen erheblichen Einfluss auf die Organisationskultur hat, ist es sinnvoll, einen Kulturexperten in die potenzielle Transaktion einzubeziehen. Petra Fischer, unsere M&A-Beraterin bei Translink Corporate Finance Deutschland, hat deshalb Christina Röttgers, die seit 2005 als Beraterin für interkulturelle Kompetenz in über 25 Ländern weltweit tätig ist, um ihre Erkenntnisse zur kulturellen Integration gebeten.
PF: Wie beeinflussen nationale Kulturen die Kultur von Organisationen?
CR: Alle Organisationen müssen vor allem auf zwei Fragen Antworten finden: Wer hat die Macht, was zu entscheiden? Und welche Regeln und Verfahren werden befolgt, um das gewünschte Ziel zu erreichen? Die Antworten auf diese Fragen werden weitgehend von der nationalen Herkunftskultur einer Organisation bestimmt. Geert Hofstede hat diese Themen als Dimensionen beschrieben und damit kulturelle Unterschiede messbar und vergleichbar gemacht.
In nationalen Kulturen erkennen wir beispielsweise eine höhere oder niedrigere Machtdistanz – das Ausmaß, in dem Menschen akzeptieren oder erwarten, dass Macht ungleich verteilt ist. Daraus lässt sich ableiten, ob Entscheidungen ausschließlich an der Spitze eines Unternehmens getroffen werden und vor allem, ob Aufgaben delegiert werden oder ob Entscheidungen auch auf anderen Ebenen getroffen werden. Ein höheres oder niedrigeres Niveau der Unsicherheitsvermeidung (das Ausmaß, in dem sich Menschen durch mehrdeutige Situationen bedroht fühlen und Überzeugungen und Institutionen geschaffen haben, um diese Situationen zu vermeiden) erklärt unter anderem das Bedürfnis nach mehr oder weniger Struktur und Kategorisierung, und den Grad der Akzeptanz für disruptives Handeln, Innovation und Risiko. Dieser Aspekt spielt eine zentrale Rolle im Veränderungsmanagement.
Aus der Kombination von höherer und niedrigerer Machtdistanz sowie höherer und niedriger Unsicherheitsvermeidung ergeben sich vier implizite Organisationsmodelle für Ländergruppen weltweit, aus denen sich bereits viele potenzielle Herausforderungen für M&As ableiten lassen.
PF: Wie wirken sich die Dimensionen konkret auf Übernahmen oder Fusionen aus?
CR: Die größten Auswirkungen lassen sich auf Unterschiede in der Machtdistanz zurückführen. Ausschlaggebend dafür sind unterschiedliche Managementstile und die damit verbundenen vertikalen Kommunikationskanäle. Es gibt zum Beispiel viele Länder, in denen eine Matrixstruktur nicht gut funktioniert, dennoch versuchen westliche Erwerber oft, sie einzuführen.
Auch die Machtdistanz spielt bei den Kaufverhandlungen eine große Rolle, da die Entscheidungsbefugnisse auf den verschiedenen Ebenen oft nicht vergleichbar sind.
Besonders wichtig sind auch die kulturellen Präferenzen bei der Kommunikation. Wenn die Parteien mit viel oder wenig Kontext kommunizieren, kann sich dies erheblich auf die Verhandlungen auswirken: wie die Treffen abgehalten werden, wie viel Zeit für informelles Kennenlernen und informelle Gespräche eingeräumt wird.
Wenn eine Partei aus einem weniger individualistischen Land kommt, ist der Aufbau von Beziehungen oder besser noch von bereits bestehenden Beziehungen von besonderer Bedeutung. Im Englischen wird dieser Aspekt manchmal mit „it is the contact, not the contract that counts“ beschrieben.
PF: Welche anderen kulturellen Aspekte haben einen Einfluss auf den Integrationsprozess?
CR: Die Dimension des Individualismus wirkt sich besonders auf die Zusammenarbeit nach einer Fusion aus, z. B. auf die Frage, wie viel Vertrauen in unbekannte Personen gesetzt wird. Es gibt Kulturen, die dazu neigen, bei der Arbeit einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, und solche, in denen dieses Vertrauen erst verdient werden muss.
Eine weitere Frage, die sich aus dem Wert in der Dimension Leistungsorientierung ableiten lässt, ist die Frage, inwieweit Wettbewerb zwischen den Teammitgliedern akzeptabel ist oder nicht. Dementsprechend werden verschiedene Arten der Motivation empfohlen.
Letztlich haben alle bekannten Dimensionen einen Einfluss auf die Akquisitionsverhandlungen und das PMI. Mit dem Cultural Mapping können alle Aspekte klar identifiziert werden, und je nach Strategie können dann geeignete Maßnahmen genauer definiert und quantifiziert werden.
PF: Interkulturelle Unterschiede bei Übernahmen und Fusionen können erhebliche Kosten verursachen – sowohl direkt als auch indirekt. Missverständnisse, Kommunikationsprobleme und divergierende Arbeits- und Führungskulturen führen oft zu Reibungsverlusten, Mitarbeiterfluktuation, Produktivitätsverlusten und dem Ausbleiben von Synergieeffekten. Diese „Kosten der Nicht-Integration“ wirken sich langfristig negativ auf den wirtschaftlichen Erfolg des Zusammenschlusses aus. Wie können diese Kosten vermieden werden? Oder wie lassen sie sich quantifizieren?
CR: Erstens können sich diese Investitionen in interkulturelle Kompetenz durch andere Effekte schnell bezahlt machen. Studien zeigen zum Beispiel, dass gut geführte multikulturelle Teams, in denen die Führungskraft kulturelle Unterschiede erkennt und aktiv damit umgeht, kreativer und innovativer sind als monokulturelle Teams. Sie zeigen auch, dass das oberste Viertel der Unternehmen mit der größten ethnischen Vielfalt eine um 35 % höhere Wahrscheinlichkeit hat, finanziell erfolgreich zu sein, als das unterste Viertel der Unternehmen mit der geringsten ethnischen Vielfalt.
Zweitens lassen sich die Kosten für die Entwicklung interkultureller Kompetenz auf Mitarbeiter- und Organisationsebene nicht vermeiden (entweder man investiert oder man zahlt den Preis), aber sie können auf ein Minimum beschränkt werden. Generell gilt Folgendes:
Je früher interkulturelle Kompetenz entwickelt wird, desto geringer sind die Kosten.
Kostspielige Entscheidungen, die aus kultureller Sicht nicht funktionieren, können vermieden werden. Ich denke dabei an einen konkreten Fall, in dem ein multinationales Unternehmen alle seine Buchungen nach Rumänien auslagerte. Das Ziel war es, eine Art Black Box zu schaffen: Rechnungen wurden dorthin geschickt, eine Buchung sollte herauskommen, Rückfragen waren ausdrücklich unerwünscht, um die zahlreichen Ausnahmen bis dahin zu minimieren. So viel kann man sagen: Es hat nicht funktioniert und wurde nach einiger Zeit komplett eingestellt. Aus kultureller Sicht war dies vorhersehbar, da es in einem Land wie Rumänien unabdingbar ist, den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, Rückfragen zu stellen.
Andererseits sollte interkulturelle Kompetenz so früh wie möglich aufgebaut werden, da sie dann strategisch eingesetzt werden kann und Multiplikatoreffekte erzielt werden können.
Die Kosten lassen sich genauer beziffern, wenn man den angestrebten Integrationsgrad, die Anzahl der Mitarbeiter, die Herkunftskulturen und das Engagement des Topmanagements kennt. Hierfür gibt es die interkulturelle Due Diligence. Werden die Kosten jedoch frühzeitig eingeplant, sind sie immer nur ein Bruchteil der Kosten, die z.B. durch ungewollte Personalfluktuation entstehen.
PF: Was ist interkulturelle Due Diligence?
CR: Interkulturelle Due Diligence bedeutet, kulturelle Unterschiede systematisch zu ermitteln, zu bewerten und in die Geschäftsstrategie zu integrieren. Dazu gehören Fragen wie:
- Wie stark sollte die Integration des Zielunternehmens sein?
Welche Herausforderungen sind aufgrund der unterschiedlichen nationalen Kulturen in Bezug auf Management und Prozesse zu erwarten? - Wie wird das Zielunternehmen und das übernehmende Unternehmen geführt?
Welche Werte und Praktiken prägen den Arbeitsalltag? - Wie kommunizieren sie – direkt, indirekt, formell oder informell?
Welche Erwartungen gibt es in Bezug auf Zusammenarbeit, Kontrolle und Innovation?
Antworten auf diese Fragen liefern wichtige Erkenntnisse für das Integrationskonzept – und helfen, typische Fehler zu vermeiden.
PF: Der größte Erfolgsfaktor für die Integration nach dem Zusammenschluss?
CR: Die Erkenntnisse aus der IDD sollten nicht in einer Schublade verschwinden. Sie bilden die Grundlage für eine kultursensible Integrationsstrategie, z.B. durch maßgeschneiderte Kommunikationsformate, Führungstrainings oder gemischte Integrationsteams. So werden kulturelle Brücken gebaut, statt Gräben zu vertiefen.
Unternehmen, die interkulturelle Aspekte von Anfang an in ihren M&A-Prozess einbeziehen, profitieren in mehrfacher Hinsicht:
- Zuverlässigere Kostenplanung im Voraus
- aktive Gestaltung der Organisationskultur durch das Top-Management als Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung
- Weniger Reibungsverluste in der betrieblichen Zusammenarbeit
- Höhere Mitarbeiterbindung und geringere Personalfluktuation
- Schnellere Verwirklichung von Synergien
- Verwirklichung der Vorteile der kulturellen Vielfalt, wie mehr Kreativität und Innovation
- Langfristige kulturelle Solidarität
Kultur ist wichtig: Mangelndes kulturelles Verständnis kann M&A-Geschäfte gefährden
Die interkulturelle Due Diligence ist kein weicher Faktor, sondern ein strategisches Instrument und eine harte Realität. In einer globalisierten Wirtschaft, in der die Zusammenarbeit über nationale und kulturelle Grenzen hinweg zum Alltag gehört, entscheidet die Qualität der kulturellen Integration oft über den langfristigen Erfolg einer Fusion oder Übernahme. Wer nur auf die Bilanzzahlen schaut, vergisst den entscheidenden Erfolgsfaktor: die Menschen dahinter.
Theoretische Grundlage – Praxisbezug
Wissenschaftliche Modelle wie die Kulturdimensionen von Geert Hofstede, E.T. Hall, die Kulturkonzepte von Trompenaars oder die GLOBE-Studie bieten fundierte Ansätze, um kulturelle Unterschiede greifbar zu machen. Sie bieten eine Sprache und Struktur, um weiche Faktoren messbar und vergleichbar zu machen. Geert Hofstede hat als erster über die impliziten Organisationsmodelle der nationalen Kulturen geschrieben.
Ein erfolgreiches interkulturelles Assessment kombiniert diese Modelle mit praktischen Instrumenten: Interviews, Umfragen, Beobachtungen oder sogenannte Culture Mappings helfen, den tatsächlichen kulturellen Fit zwischen Käufer und Ziel zu bewerten.